Der heuer zum neunten Mal vergebene Preis der Kunsthalle Wien steht für die aktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Kunsthalle Wien mit den beiden Wiener Kunsthochschulen. Die Auszeichnung etablierte sich in den letzten Jahren als bedeutendes Instrument der Förderung junger Künstler*innen in Wien und markierte für zahlreiche Preisträger*innen einen ersten wichtigen Schritt in ihrer künstlerischen Laufbahn.
Der per Juryentscheid an ausgewählte Absolvent*innen der Akademie der bildenden Künste Wien und der Universität für angewandte Kunst Wien vergebene Preis der Kunsthalle Wien umfasst eine Ausstellungsteilnahme und eine dazugehörige Publikation; pro Kunstuniversität wird zudem ein*e Künstler*in mit dem Hauptpreis inklusive eines Preisgelds in Höhe von € 3.000 ausgezeichnet.
Für die diesjährige Preisvergabe sichtete die Jury insgesamt 114 Diplom- und Masterprojekte aus den Bereichen bildende und Medienkunst – 49 Absolvent*innen der Akademie und 65 Absolvent*innen der Angewandten bewarben sich um den Preis. 2023 sind erstmals Absolvent*innen der Fachbereiche Grafik und druckgrafische Techniken, Bühnengestaltung sowie des interdisziplinären Programms Art & Science unter den Ausgezeichneten.
Aufgrund der hohen Qualität und der thematischen Vielfalt der eingereichten Arbeiten beschloss die Jury, wie bereits im letzten Jahr zehn Absolvent*innen zur Teilnahme an einer Gruppenausstellung einzuladen, die im Frühjahr 2024 in der Kunsthalle Wien Karlsplatz zu sehen sein wird.
Hauptpreisträger der Akademie der bildenden Künste Wien: Jusun Lee
Jusun Lee überzeugte die Jury mit der zweiteiligen Installation Safe Zone und Illusion, die auf durchdachte und zugleich sinnliche Weise Materialität und die Beschäftigung mit einem persönlichen wie auch gesellschaftlich-politischen Thema verbindet: Sie lädt ein in eine immersive Umgebung, die ein Ort der Geborgenheit ist und zugleich die Besucher*innen dazu anregt, über gesellschaftliche Ablehnung, sichere Zonen und Selbstermächtigung zu reflektieren. Die Materialien Bioplastik, Latex und Metall erscheinen lustvoll in Licht und Farbe getaucht und verbinden sich zu einer einzigartigen Formensprache.
Jusun Lee (geb. 1992, lebt in Wien und Seoul) studierte Bildhauerei und Installation bei Nora Schultz, Diplom im Juni 2023.
Weitere Preisträger*innen der Akademie der bildenden Künste Wien: Željka Aleksić, Michael Amadeus Reindel, Anne Schmidt und Marc Truckenbrodt
Željka Aleksić
Was kostet es, Künstlerin zu werden?, fragt Željka Aleksić in ihrer Diplomarbeit mit dem Titel Das Kapital, die die ökonomischen Bedingungen aufzeigt, die für das Privileg, in Wien Kunst zu studieren, erforderlich sind, wenn man aus einer Arbeiter*innenfamilie und aus einem sogenannten Drittland stammt. Das Diplomprojekt, das ein Arbeitstagebuch mit dokumentarischen Fotos sowie eine Serie von Acrylbildern umfasst, basiert wie alle Arbeiten von Aleksić auf persönlichen Lebenserfahrungen und zeigt ihr ausgeprägtes Gespür für Gesellschaftskritik und persönliche Ironie. In ihrem Werk schwingt ein Realismus ihrer Klasse mit, während sie sich scharfsinnig und gekonnt herausfordernd mit der Schwelle und der Spannung zwischen ihren Rollen als Künstlerin und als Arbeiterin auseinandersetzt.
Michael Amadeus Reindel
Mit Fulfillment Center verbindet Michael Amadeus Reindel auf humorvolle, raffinierte und scharfsinnige Weise Persönliches mit einer zutiefst politischen Perspektive auf die Auswüchse des globalen Konsumwahns und gegenwärtiger prekärer Arbeitswelten – hier repräsentiert durch den Konzern Amazon. Durch seine skulpturale Praxis, mittels akribischer Recherche und direkter Involvierung in Form einer einwöchigen Anstellung im nahe seines Elternhauses beheimateten Amazon-Fulfillment-Centers gelingt es Reindel, die Betrachter*innen mühelos zwischen seiner Familie, der Reflexion der eigenen Arbeit als Künstler und gesellschaftskritischen Thematiken zu manövrieren.
Anne Schmidt
Das vielgestaltige Werk Anne Schmidts kumuliert in ihrer Diplom-Installation Strahlte. Geschöpf. Champagner. zottig. Klumpen, in der riesige Eistüten-Skulpturen, ein kettengesägtes „Prokrastinierschwein“, der autofiktionale Roman Me after Two Anal Orgasms und Tennisbälle ebenso Protagonist*innen sind wie die Künstlerin selbst. In ihrer präzisen, energetischen Auseinandersetzung mit normativen Bildern des Verlangens in der kapitalistischen Konsumgesellschaft und dem künstlerischen Ausloten von institutionellen Logiken spiegelt sich Schmidts aktivistischer und kulturwissenschaftlicher Hintergrund wider.
Marc Truckenbrodt
In seinen grafischen Arbeiten setzt Marc Truckenbrodt sich mit seinem direkten Umfeld auseinander. Oft entstehen aus seinen Beobachtungen und Überlegungen gekonnt leichtfüßige und gleichzeitig tiefgründige Narrationen und Comics, die ohne Text auskommen. Für sein Diplomprojekt mit dem Titel Behauptung, bei dem Truckenbrodt mit farbiger Tusche auf Papier gearbeitet hat, hat er das Thema Macht einschließlich ihrer Widersprüchlichkeiten, Notwendigkeiten und Gefahren sowie ein vergleichsweise großes Format gewählt: Die Betrachter*innen begegnen fünf überlebensgroßen Figuren, die in Statur und Auftreten auf den ersten Blick an Superheld*innen erinnern – doch bei näherer Betrachtung lässt uns der Künstler Details erkennen, die die Figuren in produktiver Weise ambivalent werden lassen.
Hauptpreisträgerin der Universität für angewandte Kunst Wien: Marielena Stark
Marielena Stark erhält den Hauptpreis der Angewandten für ihre installative Arbeit Afterlifestyle. Mit Indigo und Walnüssen gefärbte Stoffe verwandeln Basketbälle, die im Raum zu schweben scheinen, in Geister – Lichtbälle, wie es die Künstlerin ausdrückt. Die imaginierten Bewegungen des Ballspiels, ihre Wurflinien, der Luftwiderstand und die Schwerkraft, die die Bälle zum Boden zieht, finden ihren Widerpart in den Bewegungen der Farben, die sich beim Färben ihren Weg im Stoff bahnen.
Marielena Stark (geb. 1986, lebt in Wien) studierte Malerei bei Henning Bohl, Diplom im Juni 2023.
Weitere Preisträger*innen der Universität für angewandte Kunst Wien: Mila Balzhieva, Luisa Berghammer, Daniel Fonatti und Valentin Hämmerle
Mila Balzhieva
Mit ihrer dreiteiligen Installation Roots and Spirits: Presentation, Representation, and Vision gestaltet Mila Balzhieva einen originellen Beitrag zum Interspezies-Dialog. Die Kontaktaufnahme mit einer Zimmerpflanze nimmt dreierlei Formen an, die uns aus dem uns Vertrauten herauslocken und herausfordern sollen. Magie und Forschung erscheinen so nicht als Gegensätze, sondern werden in ihrer Verschränkung denk- und sichtbar.
Luisa Berghammer
Ein Abspann am Ende des Studiums: Luisa Berghammer reflektiert mit ihrer Videoinstallation *captain screeching* kollektive Prozesse und die Position des Individuums in ihnen. Ein Fußballfilm, der nicht existiert, die Figur eines*r Torwart*in oder eines*r Teamkapitän*in, die eigentlich mehr als nur eine Person ist: raffiniert verknüpft die Installation Fragen nach Autor*innenschaft mit einer Öffnung hin zu einem erweiterten Bühnenbildbegriff, auch vor dem Hintergrund des von Berghammer absolvierten Doppelstudiums Bühnengestaltung und Skulptur und Raum und den daraus entstehenden Spannungsfeldern und Gegensätzen.
Daniel Fonatti
In seiner Installation The ground was there to meet the feet verweist Daniel Fonatti auf Ruinen der Moderne, hier konkret auf das ausgeweidete Skelett einer Wasserrutsche, die an einem Strand auf Sizilien vor sich hin rottet. Mit großer Feinfühligkeit für den Ausstellungsraum und für die Diskurse über jene Ruinen, welche die sprichwörtliche Gesellschaft des Spektakels zukünftigen Generationen hinterlässt, gelingt Fonatti ein poetischer Zugang zu einer dezidiert politischen Thematik.
Valentin Hämmerle
In seiner ortsspezifischen Installation LIGHT YELLOW GAZE 9201-104 ***, die er für den Lichthof B im Ferstel-Trakt der Universität für angewandte Kunst konzipierte, beeindruckt Valentin Hämmerle mit großer Sensibilität für die Gesetzmäßigkeiten der Bühnengestaltung bei gleichzeitiger Lust an der Überschreitung derselben und der Öffnung hin zu anderen Kunstformen. Die Prinzipien des eigenen Fachs kritisch reflektierend, wendet sich Hämmerle anderen Formen und Sprachen wie jener der skulpturalen und installativen Gestaltung zu, ohne dabei aber das Gefühl für den Raum in Relation zu bewegten Körpern zu verlieren.